Es gab wohl nicht viele Perioden in der Kulturgeschichte der Deutschen, in der die Menschen sich so einfach so gut ernähren konnten. Alles, was krank macht oder das Unbedingte – Gesundbleiben ist zu einem der Hauptthemen unserer Zeit geworden. Essen kann krankmachen, so glauben wir jedenfalls, auch wenn diese Herangehensweise für viele Völker bestürzend sein muss, weil die wissen, Nichtessen kann tot machen. Dass Hungersnot wiederum mit einer ungerechten Verteilung zwischen armen und reichen Nationen, auch der Lebensmittelpolitik zu tun hat, dürfte bekannt sein. Wir leisten uns dieses Luxusproblem, Lebensmittel als krankmachend auszusortieren, weil unsere privilegierte Nation dazu in der Lage ist. Wenige Themen werden in der Elternschaft so kontrovers diskutiert wie die Ernährung und was man bereit ist, dafür zu investieren, tolerieren und integrieren. In unserer Kinderschar findet sich diese Vielfalt wieder:
Der Spartaner
Dieses Kind isst nichts, was vermengt ist. In der Regel isst es die Nudeln, Kartoffeln und den Reis leicht gesalzen, mehr braucht es nicht, gelegentlich noch einen Rohkostsalat. Die Spartaner vergessen sich total, wenn es Süßes gibt, dann sind sie nicht mehr zu halten und stapeln Süßes auf dem Teller. An solchen Tagen sind sie die letzten, die noch im Speisesaal sitzen, einfach, weil sie nicht aufhören können, so lange noch etwas da ist.
Der Hausmannsköstler
Diese Kinder würden am liebsten jeden Tag Fleisch essen. Fleisch, Soße und Kartoffeln machen sie in dieser Kombination besonders glücklich. Sie lieben Pommes. Ein Indisches Curry probieren oder Fisch ist nicht so ihre Sache. Deshalb haben sie fast immer ein Brot dabei. Manchmal essen sie gar nicht, es reicht ihnen zu warten, bis sie den heimischen Kühlschrank wieder öffnen können. Zu Hause teilen sie in der Regel mit, dass es nichts gab, was ihnen schmeckt.
Der Genießer
Dieses Kind isst alles, es probiert aus, es mag Fisch genauso wie Fleisch, es liebt Spinat genauso wie rote Beete. Es genießt das Essen und probiert eigene ungewöhnliche Kombinationen auf dem Teller aus. Zu Hause erzählt es, was ihm besonders gut geschmeckt hat. Hunger hat es selten. Kuchen oder Süßes nimmt bei diesen Kindern keinen besonderen Stellenwert ein.
Der Pragmatiker
Dieses Kind isst, weil man ja essen muss. Meistens isst es schnell und in Menge. Es freut sich über alles, was es gibt. Der Pragmatiker hat auch öfter mal einen Essenswunsch und freut sich, wenn das Wunschessen auf dem Tisch steht. Zu Hause angekommen, hat er wieder Hunger und vergessen, was es zu Mittag gab.
Der Skeptiker
Dieses Kind weiß, Essen ist eine politische Angelegenheit. Ernährungsgewohnheiten anderer werden zu Hause häufig diskutiert und so weiß das Kind nicht genau, ob das, was es jetzt vielleicht essen wollen würde, wirklich gut für es ist. Fleisch macht dick, Gemüse ist gespritzt, Fisch ist ungesund wegen der Schadstoffe und Gekochtes aus Aluminiumtöpfen sollte ohnehin niemand essen. Dieses Kind isst ganz vorsichtig und extrem langsam. Es befragt die Erwachsenen, wie ihnen das Essen schmeckt und berichtet zu Hause, was die anderen Mitesser so verspeist haben.
Weil die Essensbedürfnisse unserer Kinder so unterschiedlich sind, wie die der Elternschaft, ist es uns eine Herzensangelegenheit, diesen unterschiedlichen Essensbedürfnissen gerecht zu werden. Es ist uns aber auch wichtig, die Ernährung als Teil der Toleranz- und Vielfältigkeitserziehung zu sehen. Über Lebensmittel lernt man eben auch andere Kulturkreise kennen. Wir kochen nicht vegan, nicht rein biologisch, nicht fettreduziert, nicht zuckerfrei. Wir schätzen alle Lebensmittel und vor
allem die Vielfalt. Egal, mit welchen Ernährungsgewohnheiten ein Kind groß wird, wir wünschen uns, dass sie Neugierde und Lust entwickeln, Verschiedenes zu probieren, dass sie erfahren, dass unser Essen aus „Lebens“mitteln, nicht Krankmachern, zusammengestellt wird. Und klar ist es letztlich so, dass sie in der Konsequenz das Wenige, wenn nur das da ist, essen können sollen und eben nicht ihre Pommes in einem asiatischen Land brauchen. Wir schätzen die Interpretationen unserer Köche, deshalb haben wir auch in den Anfangsjahren 2 Köch/innen gehabt, so wie jetzt auch. Die Köche haben völlige Gestaltungsfreiheit in der Ausgestaltung des Vollwertkonzepts. Eine reine Bioküche wird es bei uns nicht geben, weil das auch nicht die Einkaufs- und Ernährungsgewohnheiten unserer Familien wiederspiegelt, eine Ausrichtung des Einkaufs auf Bio- und Regionalprodukte, vor allem aber unverarbeiteter Lebensmittel, allerdings schon. Bildung für eine nachhaltige Entwicklung ist genauso Teil unseres Konzepts, wie die Förderung des Denkens und Handelns in ökologischen Zusammenhängen. Eine kritische Auseinandersetzung mit der Herstellungsverfahren, Ernährungsgewohnheiten, Auswirkungen industrieller Lebensmittelindustrie auf ökologische Zusammenhänge wird mit allen Beteiligten geführt, auch den Kindern. Eine kritische Auseinandersetzung heißt aber auch, Diskussion unter dem Stichwort der Eigenverantwortung und mit der gebührenden Toleranz zu führen.
Der Tag beginnt für die Kinder mit einem Frühstücksbüfett, darauf finden sich bis zu 3 Sorten Brot, Gemüse, Wurst, Käse, Müsli und Cornflakes, einmal in der Woche Joghurt oder Haferbrei. Mittags gibt es ein Büfett, wo sich jedes Kind zusammenstellen kann, was es mag. Egal, zu welcher Gruppe von Essern ein Kind gehört, es wird immer etwas finden, was es essen kann. Wir achten darauf, dass es in der Woche einen Wechsel gibt von Fleischgerichten, Suppen, Fisch und Pasta. Am Nachmittag gibt es Brote, hausgemachte Marmeladen oder Aufstriche, häufig Obst und Nüsse. Die Kinder können immer soviel essen, wie sie möchten, keiner muss essen.