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Kinderhaus und staatlich anerkannte Grundschule
in freier Trägerschaft

Hospitationsbericht

Ich schreibe meinen Hospitationsbericht als Mutter eines autistischen* Kindes.

Schon früh war für uns Eltern klar, dass wir unserem Sohn einen anderen, als den „herkömmlichen“ Schulweg ermöglichen wollen. Dabei waren unsere Motive vielfältiger Natur. Zum Einen natürlich- aufgrund seiner Besonderheit, seiner ganz eigenen Art des Lernens und Begreifens. Zum Anderen aber auch, weil wir selbst aufgrund unserer eigenen Lebensgeschichten dem Regelschulsystem kritisch gegenüber stehen.

Schon lange vor seiner Schulpflicht setzten wir uns mit alternativen Beschulungsmöglichkeiten und Themen wie Homeschooling und Freilernen auseinander. Die letzteren Beiden sind in Deutschland nicht legal umsetzbar. Neben dem steinigen Weg zur Diagnose (oh was hatte ich als Mutter tiefe Schuldgefühle, alles falsch zu machen), glaubt man leider den Eltern oft am wenigsten, machte uns das Thema Schule zunehmend nervöser. Und sorgenvoller. Es schienen sich mit nahender Einschulung auch alle Beteiligten (Kita, Schule, Therapeuten, Sonderpädagogen) einig –  „ Er passt nicht ins System“. Jedoch waren wir als Eltern gezwungen, ihn erstmal in der Regelschule einzuschulen. Bekanntlich kann Hilfe ja erst einsetzten, wenn Hilfe eigentlich schon zu spät ist. Die zuständige Schule machte alles möglich, was möglich war. Da noch keine Schulassistenz zu dem Zeitpunkt bewilligt war, begleitete ich meinen Sohn das erste halbe Jahr täglich. Die erwarteten Probleme kamen schnell. Und ich muss zugeben, dass es doch ein großer Unterschied ist, ob man Probleme erwartet, oder aber dann mitten drin steckt und keine Lösung in Sicht ist. Mein Sohn ging aus Überforderung bald in massiv störendes Verhalten über. Zu Hause entlud sich seine Anspannung. Die Bewilligung für die Schulassistenz kam, es fand sich jedoch niemand für die Stelle. Verweigerung und auch immer mehr Ablehnung der Schule seitens meines Sohnes waren die Folge. Er zeigte immer häufiger somatische Beschwerden.

Ich ging auf die Suche nach alternativen Schulen.

Tatsächlich bekam ich auf meine Anfrage in Baek hin, sehr kurzfristig einen Termin und begegnete dort einer sehr aufgeschlossenen Schulleiterin, die auch Lust auf diese Herausforderung zu haben schien. Nach Rücksprache mit ihrem Team, Entscheidungen werden dort nur gemeinsam getroffen und dann auch getragen, vereinbarten wir einen Hospitationstermin.

Ich durfte über einen Zeitraum von vier Wochen in der Freien Schule Baek hospitieren. Ich selbst war schon sehr überzeugt vom Konzept und der Arbeit mit den Montessorie Materialien. Ein Hospitationstag war für mich eine spannende und positive Erfahrung. Hervorzuheben ist zunächst der sehr achtsame und wohlwollende Umgang der Kinder untereinander und mit den Pädagogen. Man spürt, dass alle sich auf Augenhöhe begegnen und die Bedürfnisse des Einzelnen Platz in der Gemeinschaft haben. Bei Konflikten werden die Kinder darin bestärkt, diese selbstständig zu lösen.

Neben den Freiarbeitsphasen, in den die Kinder Gelegenheit haben selbstständig ihr Wissen zu vertiefen, Themen zu üben oder neu zu erforschen, gibt es feste Kreise und Kurse. In diesen werden neue Themen eingeführt oder auch Ergebnisse aus der Freiarbeit vorgestellt.

Nach einem wirklich sehr schönen Hospitationstag beschlossen wir gemeinsam, dass ich mit meinem Sohn zum Probeunterricht kommen darf. Da mein Sohn Autist* ist und damit durch seine eigene Art der Wahrnehmung ganz besondere Herausforderungen in der Beschulung mit sich bringt, war für alle Beteiligten zunächst nicht klar, ob er mit dem Konzept der Schule klarkommt. Schnell haben wir uns darauf geeinigt, der ganzen Sache etwas mehr Zeit zu geben, denn natürlich war es für meinen Sohn erst einmal sehr ungewohnt, da er bislang nur Frontalunterricht kannte.

In den Freiarbeitsphasen machten wir uns zunächst mit einigen der Montessorie Materialien vertraut. Das Schöne an den Materialien ist, dass sie Lernen mit allen Sinnen ermöglichen. Dies und zahlreiche alltagspraktische Übungen erzielen einen sehr hohen Lerneffekt. Mein Sohn benötigt bei der Auswahl der Materialien eine klare Anleitung, ohne ihm jedoch eine Wahlmöglichkeit zu nehmen. Dies war hier problemlos möglich. So hat er sich sogar an das von ihm bisher verweigerte Lesen und dann sogar selbstständige Schreiben herangetraut. Im mathematischen Bereich ist er schon etwas weiter. Durch die individuell abgestimmten Lernpläne, kann er an dem Punkt ansetzen, wo er gerade steht.

Die Woche beginnt immer mit einer Wochenendrunde. Hier haben die Kinder Gelegenheit zu berichten, was sie am Wochenende erlebt haben. Im Anschluss wird die anstehende Woche besprochen. Ein Highlight war für meinen Sohn ganz klar der Beginn der Naturwissenschaftswochen. Diese hat er mit seiner Gruppe an der Mikroskopierstation begonnen und durfte zunächst den Mikroskopierführerschein machen. Hier wird Grundlagenwissen vermittelt und er erlaubt es den Kindern von da an selbstständig weiter zu forschen.

Ein weiterer sehr positiver Aspekt ist die enge Elternarbeit. Die Pädagogen sind sehr an einem vertrauensvollen und engen Austausch mit den Eltern interessiert.

Mein Sohn und ich sind sehr glücklich, dass er nun hier an der Schule bleiben darf. Ich bin mir sicher, dass er sich hier mit Freude am Lernen nach seinen Möglichkeiten entfalten und entwickeln wird. Ich bin sehr gespannt, was uns hier in den nächsten Jahren erwartet.

*Autismus “ ist eine tiefgreifende Entwicklungsstörung, die als Autismus-Spektrum-Störung diagnostiziert wird. Diese tritt in der Regel vor dem dritten Lebensjahr auf und kann sich in einem oder mehreren von drei Bereichen zeigen:

– Probleme beim wechselseitigen sozialen Umgang und Austausch (etwa beim Verständnis und Aufbau von Beziehungen)

– Auffälligkeiten bei der sprachlichen und nonverbalen Kommunikation (etwa bei Blickkontakt und Körpersprache)

– eingeschränkte Interessen mit sich wiederholenden, stereotyp ablaufenden Verhaltensweisen

…“ (Quelle Wikipedia)

Autisten (neurodivers) sind so individuell wie alle anderen Menschen (neurotypisch)  auch. Sodass sie in der Intensität und Vielfältigkeit ihrer Stärken und Einschränkungen sehr variieren. Eine Eigenschaft, die es ihnen in unserer immer schnelllebigeren Welt besonders schwer macht, ist ihre Reizfilterschwäche. Sie nehmen die Welt mit allen Sinnen sehr viel intensiver wahr, als es neurotypische Menschen tun. Dies führt dann oft zu großen Überforderungsreaktionen, welche sich auf sehr unterschiedliche Weise zeigen können.

Verfasserin: Mutter eines Landweg-Schulkindes