Die Aufsteller waren zuerst da: sieben bedruckte Textilwände voller Piktogramme, Zeichnungen und Texte standen am Montag nach den Oktoberferien im Musikraum. Die Kinder der 4.-6.Klasse trafen sich im großen Kreis um einen geheimnisvollen kleinen Koffer und Bücher mit Geschichten über das Weggehen von Zuhause und über das Ankommen in der Fremde. Silke las die Geschichte einer Perlenkette vor, die auch die Geschichte eines kleinen Mädchens auf der Flucht von Syrien nach Deutschland war. Gemeinsam überlegten wir, was wir mitnehmen würden, sollten wir von zuhause „weggehen“ müssen. Gar nicht so leicht, sich zu entscheiden – denn was brauchen wir wirklich? Wie können wir uns in verschiedenen Sprachen begrüßen oder um etwas bitten, uns bedanken? Und wie ist das mit Ländern, die es nicht mehr gibt – wo ist Heimat?
Am Dienstag Morgen hieß es dann endlich: Willkommen Migrantas! Uns begrüßten zwei junge blonde Frauen aus Argentinien – anders als erwartet. Oh, beide sprechen sehr gut deutsch – was hatten wir erwartet? Zum Glück müssen wir so nicht auf unseren begrenzten Spanischwortschatz vom Vortag zurückgreifen. Die Eine lebt schon lange in Deutschland, ihre Familie kommt aus Italien und Irland. Die Andere lebt auch in Berlin, hat aber eine deutsche Oma in Argentinien. Und so ist eine der ersten Fragen an die Kinder: woher kommen eure Familien – die Omas und Opas, Uromas und Uropas? Alle grübeln, schweigen, zucken mit den Schultern: „Na – aus Brandenburg, oder Berlin!“ Diese Antwort haben Florencia Young und Natalia Laube vom Kollektiv Migrantas aus der multikulturellen Hauptstadt Berlin bestimmt auch nicht erwartet. Also: Willkommen Migrantas im Umland! Und Tschüss, Erwartungen!
Los geht es mit einer Präsentation der Idee des Kollektivs. Wir lernen, dass ein Hauptziel ist, mit Hilfe von Piktogrammen sichtbar zu machen, was diejenigen denken und fühlen, die ihr eigenes Land verlassen haben und nun in einem neuen Land leben. Das Kollektiv Migrantas thematisiert Migration und die Erlebnisse von Migrantinnen, das Zusammenleben und den Dialog zwischen Kulturen. Die Gründerinnen des Kollektivs sind selbst nach Deutschland eingewandert und arbeiten mit anderen Migrantinnen in Workshops, verdichten Zeichnungen zu Piktogrammen und verbreiten sie im Stadtraum. Und nun auch bei uns auf dem Land!
Soweit, so intensiv. Nach langem Zuhören kommen wir ins Selbermachen. Piktogramme werden auf Kärtchen verteilt. Darauf steht zum Beispiel: „Migrantinnenjobs. Neue Heimat. Darf ich bleiben? Gestohlene Kindheit. Wann werden wir uns wiedersehen? Keine Diebin.“ Wir spielen in kleinen Rollenspielen nach, was Erlebnisse sein könnten, die hinter diesen Aussagen und Bildern stecken. Wir sprechen darüber, was wir sehen und warum uns die Bilder berühren. Später schreiben wir Geschichten zu den Piktogrammen: manche Kinder schreiben kleine Comics, andere schreiben lange Geschichten, alle werden irgendwie anders.
Der Mittwoch beginnt mit einer Leserunde – unsere Geschichten sind ein dickes Buch geworden! Es ist spannend zu hören, was jede*r für Ideen und Gedanken aufgeschrieben hat. Dann die Frage: worüber wollen wir reden? Wir fotografieren einander mit den uns wichtigstem Piktogramm – per Polaroid landen die Bilder direkt auf einem vorbereiteten Plakat. Und dann geht es noch einmal um die Piktogramme, diesmal in Form von Postkarten. Jedes Kind gestaltet ein Bild und schreibt dazu eine Karte. Wo steht der Absender, wohin schreibt man den Empfänger, die eigene Adresse – wir sind nicht geübt im Briefe schreiben, aber es macht Spaß und natürlich warten alle mit Spannung darauf, von wem sie demnächst Post bekommen werden.
Schließlich haben Kinder ein Recht auf Postkarten, oder? Gibt es überhaupt Rechte für Kinder? Und ob – der Donnerstag steht ganz im Zeichen der Kinderrechte. Auch dazu haben die Migrantas Piktogramme entwickelt. Nach der Präsentation gibt es ein Quiz und wir können uns eigene Quizfragen und Antworten zu den Kinderrechten ausdenken. Als letzte Aktion gestalten wir Taschen mit den Piktogrammen der Kinderrechte. In der Abschlussrunde wird klar: es waren für alle drei sehr intensive Tage. Danke Florencia und Natalia, dass ihr bei uns ward! Denn egal ob in der Stadt oder auf dem Land: wir wollen mit den Kindern Migration verstehen und miteinander lernen, dass und wie wir mit ganz unterschiedlichen Menschen zusammen leben können.
Verfasserin: Anne Zinke