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Kinderhaus und staatlich anerkannte Grundschule
in freier Trägerschaft

Die Nachtigall…

…erzählt von Silke Kipper:

Seit viereinhalb Jahren bin ich nun Lehrerin in der Landweg-Schule. Zuvor, in meinem „ersten Berufsleben“ war ich als Wissenschaftlerin und Professorin tätig. Ich erforschte, wie Tiere miteinander kommunizieren und speziell, wie und warum Vögel singen. Mein Hauptinteresse galt dabei dem Gesang der Nachtigall. Außerdem gab ich biologisches Fachwissen weiter, oft auch im Rahmen der Lehrer:innen-Ausbildung, an Unis in Berlin, München und Göttingen. Irgendwann wurde mein persönliches Unbehagen mit dem Universitätsbetrieb und dem wissenschaftlichen Prekariat so groß, dass ich beschloss, die Seiten zu wechseln: statt der Lehrer:innenausbildung wollte ich direkt mit Kindern arbeiten. Diese Entscheidung fiel nicht beliebig. Sie wäre mir nicht möglich gewesen, wenn ich den Landweg nicht seit langen Jahren gekannt, beobachtet und begleitet hätte. An so einer Schule konnte und wollte ich tatsächlich gern Lehrerin sein. Die Tätigkeit als Montessori-Lehrerin war vom ersten Tag an erfüllend und positiv herausfordernd, und sie wurde noch viel besser mit dem Wachsen meines Verständnisses für die Montessori-Pädagogik. Ich staunte nicht schlecht, als ich während der Montessori-Diplomausbildung in einem Aufsatz zur neuen Rolle der Erzieherin auf folgende Sätze von Maria Montessori stieß: „Ich weiß von zwei Ärzten…, die ihren Beruf aufgaben, um sich unserer Arbeit zu widmen und in die Wahrheit dieser Phänomene einzudringen. Sie hatten das Gefühl, von einem niederen auf ein höheres Niveau gestiegen zu sein.“ (M. Montessori „Das kreative Kind“). Der gleiche Zauber funktionierte also auch mehr als hundert Jahre später noch!

Dennoch fragten mich mitunter Freund:innen und Kolleg:innen, ob ich den Austausch an der Uni und die ganze Wissenschaft nicht vermissen würde hier an der Zwergenschule in der Prignitz. Aber es ist ein Irrtum zu denken, dass die „Provinz“ keine diesbezüglichen Angebote bereithielte. Sicher, die Wege sind weiter, aber dafür sind die Begegnungen offener und die Netze verlässlicher als die in der an Angeboten überreichen Großstadt. Und der Landweg-Verein ist ein Arbeitgeber, der außerschulisches Engagement ausdrücklich nicht als Gefahr, sondern als Chance und Bereicherung wahrnimmt. Entsprechend gab ich das Forschen nie auf, sondern verfolge nun gemeinsam mit Forscher-Freund:innen das Liebeswerben und Familienleben der Prignitzer Nachtigallen, wir kartieren im Frühjahr Reviere, nehmen Gesänge auf und beringen Vögel. Mitunter kommen Fachkolleg:innen dazu, aus der Auswertung entstehen wissenschaftliche Publikationen. Die Kinder, die ich unterrichte, sind über diese Forschung bestens informiert, einige begleiteten uns bei der Feldarbeit.

Im Lauf der letzten Jahre wurde noch etwas möglich: ich konnte die Erfahrungen von zwanzig Jahren Nachtigallenforschung zu Papier (oder korrekter: in Dateiform) zu bringen. Es erscheint mir selbst noch immer wie ein kleines Wunder, dass aus diesen Texten nun ein Buch werden wird, vielfältig bereichert durch Bilder vom Illustrator Nils Hoff. Es wird im April 2022 im Insel-Verlag erscheinen:

https://www.suhrkamp.de/buch/silke-kipper-die-nachtigall-t-9783458642886

Zurück zur vollendeten Gegenwart: Anfang dieses Schuljahres schrieben die Kinder unserer Schule wie in jedem Jahr einen Aufsatz über ihre Ferienerlebnisse. Und wie in jedem Jahr taten sich viele Kinder sehr schwer damit, ihren Text noch einmal zu überarbeiten. Ich verstand das nur zu gut, da ich in meiner eigenen Manuskriptarbeit mit der Lektorin an der gleichen quälenden Arbeit saß. Natürlich profitierte auch mein Text mannigfach von den Vorschlägen der Erstleserin. Aber wie zäh war die Bearbeitung all der vielen rot markierten Vorschläge und Anmerkungen! In dieser Zeit entschied ich mich, mein eigenes Schreibabenteuer mit den Kindern zu teilen. Und wieviel Spaß haben wir seitdem! Woche für Woche fragen sie mich ungeduldig, ob es neue Illustrationen gäbe, ob ich wieder so viele Kommentare von der Lektorin bekommen hätte, ob die Seitenzahl, der Preis schon festgelegt wäre… Und sie freuen sich darauf, im nächsten Jahr einmal den Verlag in Berlin zu besuchen. Die Einladung steht!

Hat das ganze Buch-Abenteuer etwas mit der Arbeit als Montessori-Pädagogin zu tun? Auf jeden Fall! Denn zwischen der Aufgabe, die Umgebung vorzubereiten, und der, das vertieft arbeitende Kind vor Störung zu schützen, gibt es eine Phase, in der der Lehrer:in quasi alles erlaubt ist, um Kinder zur Arbeit einzuladen und sie für Dinge zu interessieren. Das kann der Griff zur Gitarre ebenso sein wie das Blumenpflücken im Garten, das Putzen des Lieblingsfüllers, das Gespräch über die Fußballergebnisse des letzten Spieltags – oder eben auch der Austausch über ein Buchprojekt. Wenn dies für mehrere Kinder der Gruppe Anlass ist, sich an eigenen Geschichten oder Buchprojekten (!) zu probieren, ist im Sinne Maria Montessoris alles gut gelaufen!