Wir alle möchten, dass sich unsere Kinder bestmöglich entfalten. Unser Ziel ist es nicht, sie lediglich auf den Übergang zur nächsten Schule oder eine perspektivische Karriere vorzubereiten, sondern dass sie sich an dem Ort, an dem sie einen erheblichen Teil ihres Tages verbringen, rundum wohlfühlen. Gekoppelt an die Erwartung, dass sie auf die Herausforderungen der modernen Welt vorbereitet sind. Kann eine Pädagogik, die vor mehr als hundert Jahren entstanden ist und den Fokus auf die Vervollkommnung des Kindes richtet auch heute noch eine sein, die den modernen Bedürfnissen der Lernenden entspricht?
In der Bildungsforschung wird zeitgemäßer Unterricht im Hinblick auf kognitive Aktivierung, Klassenführung und konstruktive Unterstützung betrachtet. Der Begriff „Lernwirksamkeit“ steht dabei im Zentrum und hebt hervor, dass guter Unterricht das Lernen der Schüler:innen nachhaltig beeinflusst. Wir werden hier die Kriterien für zeitgemäßen Unterricht mit der Umsetzung der Montessori-Pädagogik an unserer Schule abgleichen. Wir haben sowohl die theoretischen Grundlagen als auch die praktische Umsetzung der Montessori-Pädagogik verinnerlicht. Wir praktizieren sie, ohne dabei Personenkult zu betreiben. Maria Montessoris Schriften ordnen wir historisch ein und belassen eine bestimmte Begrifflichkeit in diesem Kontext. So wie wir uns Nacktheit in einer Galerie kontextabhängig anschauen. Weder werden wir die Bilder in der Galerie abhängen noch in der Schule aufhängen.
Ein zentrales Element zeitgemäßen Unterrichts liegt in der Wertschätzung der Vielfalt der Lernstile der Schüler:innen. Der Unterricht gewährleistet einen individuellen Ansatz und ermöglicht so das vollständige Entfalten ihres Potenzials. Die Förderung von Vielfalt erfolgt u.a. durch das Element der Freiarbeit, ein eigenständiges Arbeiten mit spezifischen Montessori-Materialien, die den diversen Lernbedürfnissen entsprechen. Hierbei beobachten wir sorgfältig die Fortschritte jedes Kindes und passen die Umgebung kontinuierlich an, um angemessene Herausforderungen zu gewährleisten. Allerdings ist die starke Betonung der Selbstständigkeit innerhalb des Konzepts für einige Kinder sehr anspruchsvoll. Wir haben aus diesem Grund für die Kinder erkennbare und wiederholende Tagesabläufe, die vor allem jenen helfen, die eine stärkere Struktur brauchen. Selbstverständlich haben wir – gerade in einem System ohne Noten – individuelle Zielvereinbarungen, standardisierte Tests und über das Material hinausgehende Diagnosemöglichkeiten integriert. So können wir eine ausgewogene Balance zwischen Selbstständigkeit und gezielter Förderung sicherstellen.
In der digitalisierten Welt ist die Integration von Technologie ein essenzieller Aspekt modernen Unterrichts, der nicht nur einen zeitgemäßen Zugang zu Informationen ermöglicht, sondern auch die Medienkompetenz der Lernenden fördert. Montessoripädagogik basiert hauptsächlich auf physischen Materialien, um abstrakte Konzepte zu vermitteln. Diese Materialien bieten eine sensorische Lernerfahrung und fördern die natürliche Neugier der Kinder. Der Einsatz zeitgemäßer Technologien ist für uns eine unverzichtbare Ergänzung. Wir interpretieren das Erlernen der Nutzung digitaler Technik im Grunde als eine weitere Kulturtechnik, die in einen geschützten Raum wie die Schule gehört. Wir diskutieren permanent, welche Angebote in welcher Altersklasse sinnvoll sind, also die Frage „ab wann“ und nicht „ob“. Ab der vierten Klasse finden die Kinder die vorbereitete Schulumgebung in der Schulcloud vor und haben somit permanent Zugriff, um auch im häuslichen Bereich zu üben. Praxisbezogene Aufgaben, Projekte und Exkursionen fördern nicht nur das Verständnis, sondern intensivieren auch die Verbindung zwischen theoretischem Lernen und praktischer Anwendung.Montessori-Materialien und Erzählungen zielen darauf, reale Lebenserfahrungen zu simulieren. Je nach Material werden dabei bestimmte Fragestellungen oder Details quasi unter die Lupe genommen, andere zunächst weggelassen. Parallel oder im Nachgang werden die gewonnenen Erkenntnisse im „echten Leben“ in den Alltagswelten abgeglichen. Entsprechend bieten wir Experimentierräume sowie die aktive Teilnahme am Alltag an, z.B. Essenszubereitung, Pflege und Mitgestaltung der Umgebung. Ein weiterer bedeutender Aspekt ist die Umsetzung von praxisbezogenen Aufgaben durch die Methode des „Going out“. Hierbei ermutigen wir Schüler:innen aktiv, ihre Lernumgebung zu verlassen und authentische Erfahrungen außerhalb des Klassenzimmers zu sammeln. Dies fördert nicht nur die Anwendung von theoretischem Wissen in realen Situationen, sondern stärkt auch die Selbstständigkeit und Eigenverantwortung der Schüler:innen im Lernprozess.
Eine gute Klassenführung lenkt die Aufmerksamkeit aufs Lernen und stärkt das soziale Miteinander positiv. Regelmäßiges Feedback, Offenheit und klare Ziele sind entscheidend, um den Lernfortschritt zu verfolgen und Unterstützung zu bieten. Für die Kinder gibt es durch die täglichen individuelle Freiarbeit die Möglichkeit zur Selbstkontrolle ihres Lernerfolges mittels des Materials. Zusätzlich geben die Lehrkräfte individuelles Feedback, um Fortschritte zu würdigen und gegebenenfalls Anregungen zur Verbesserung zu bieten. Ein Bewertungssystem ohne Noten braucht klar definierte Orientierungen an entwicklungsspezifischen Kompetenzen. Festgelegte Zeitfenster für Entwicklungsgespräche unterstützen diesen Prozess. Auch unsere Schüler:innen bereiten sich auf die Gespräche vor, Feedback an die Lehrkräfte ist dabei wesentlicher Bestandteil. Es kann durchaus ein berechtigter Kritikpunkt an Schule im Allgemeinen und auch an unserer speziellen Bewertungskultur sein, dass die Wahrnehmung von Schwächen stark von individuellen Perspektiven und Erwartungen der Lehrkraft abhängt, denn einige Aspekte des Lernverhaltens eines Schülers oder der Schülerin könnten als Schwächen betrachtet werden, während eine andere Lehrkraft sie möglicherweise als Stärken interpretiert. Verankert ist jedoch, dass nicht das Kind, sondern die Handlung bewertet wird und die Rückmeldung wertschätzend ist, was sich als lernförderlich für alle Kinder erweist.
Moderne Bildung fördert kreatives Denken und Problemlösung, eine positive Fehlerkultur beeinflusst das Lernklima, Bewertung und der Zeitpunkt der Fehlerkorrektur sind entscheidend. Die klare Trennung von Lernen und Leistung unterstützt den Schüleraustausch. Montessori-Materialien zeichnen sich häufig durch eine Flexibilität aus, die mehrere Lösungswege ermöglicht. Fehler markieren lediglich einen bestimmten Entwicklungsschritt. Kinder können beispielsweise bei der Anwendung von Montessori-Materialien für mathematische Probleme verschiedene Herangehensweisen wählen, was ihre kreativen Denkfähigkeiten stärkt. Viele Aufgaben und Materialien fördern die Zusammenarbeit in Gruppen, in denen unterschiedliche Kompetenzen aufeinandertreffen. Problematisch wird es, wenn nicht alle lernwirksamen Aspekte in der individuellen Arbeit beachtet werden und dem Kind keine Möglichkeit geboten wird, mutig neue Herausforderungen anzunehmen. In wöchentlichen Teamsitzungen, die sich ganz bewusst den pädagogischen Fragen und nicht ausschließlich der Organisation des Alltags widmen, haben wir die konstante Möglichkeit zur Fallbesprechung implementiert.
Zeitgemäßer Unterricht beachtet die Vielfalt der Lernenden umfassend und ermöglicht ihnen, interkulturelle Erfahrungen zu sammeln. Die Montessoripädagogik hebt die Wertschätzung für Vielfalt hervor und ermutigt Kinder dazu, kulturelle Unterschiede aktiv zu erkunden. Die Verwendung von Montessori-Materialien, welche verschiedene Kulturen, Traditionen und Länder repräsentieren, trägt dazu bei, interkulturelle Kompetenzen zu entwickeln. Und dennoch ist es so, dass die relativ homogene Zusammensetzung von Lerngruppen hier im ländlichen Raum dazu führt, dass unsere Schüler:innen wenig Vielfalt erleben und somit möglicherweise Schwierigkeiten haben, echte interkulturelle Kompetenzen zu entwickeln. Wir bemühen uns, konstant Angebote zu entwickeln, um kulturelle Vielfalt vorzustellen und interkulturelle Lernerfahrungen zu fördern.
Ja, Montessori wirft einen langen Schatten, dazu gehören unterschiedliche Herausforderungen, die wir angenommen haben, hier beispielhaft benannt:
- hohe Transparenz im System durch Evaluierung, Hospitationen, Austausch in Netzwerken
- Pflege einer kritischen Gesprächskultur durch Angebote wie Elternwochenende oder verschiedene Instanzen, z.B. Elternsprecher:innen
- historische Aufarbeitung und Einordnung, Quellentext- Recherche, Unterstützung von Forschungsanfragen
- eine kontinuierliche Konkretisierung und Weiterentwicklung der pädagogischen Umsetzung, insbesondere wegen der fehlenden Didaktik für einzelne Bereich in der Schule
- Einsatz moderner Technologien
- Anpassung durch konzeptionelle Ergänzungen, wie z.B. Kinderschutz- und Medienkonzept
- deutliche und öffentliche Positionierung gegen rechte und demokratiefeindliche Tendenzen
- Aufnahme von Kindern unabhängig vom sozialen Status der Eltern
- Ausrichtung der Unterrichtsgestaltung und Vorbereitung der Umgebung auf die 17 von den vereinten Nationen definierten Nachhaltigkeitsziele.