„Wir gehen offline“ – diese Nachricht in einer Instagram Story unseres Kanals landway hat mehr Direct Messages ausgelöst als jede andere zuvor. Unser Ohne-Strom Abenteuer war natürlich auch begleitet von einem Rückzug in eine komplette Stille im digitalen Raum. Offline, aber analog erreichbar!
Aufgabe der Schule ist es, denkbare Szenarien zu erproben, Entwicklung von sinnvollem Verhalten zu ermöglichen und Kindern verschiedene Erfahrungsräume anzubieten. Wir haben dafür in unserer Bildungseinrichtung zahlreiche Modelle. Aber wenn wir können, wählen wir das Komplett-Paket. Wir muten den Kindern und uns etwas zu!
Nachdem wir uns im Kindergarten und in der Schule altersentsprechend mit der Entdeckung der Elektrizität, der Bedeutung von Strom, alternativer Stromversorgung und Teilchenmodellen beschäftigt und auch die digitalen Möglichkeiten durchgespielt hatten, starteten wir am Montagmorgen mit einer großen Abwesenheitsmeldung über alle Messenger Dienste und Social Media Kanäle in die Stromlos-Woche; Gas, Heizung sowie alle akku- und batteriebetriebenen Geräte wurden abgeschaltet. Wir starteten gemeinsam und symbolisch in die Woche, indem wir auf dem Spielplatz unseres Geländes einen laufenden Stromkreis aus Kindergarten- und Schulkindern bildeten. Wir legten symbolisch einen großen Schalter um und schalteten daraufhin in der Realität per Hauptschalter den Strom komplett ab! Im kompletten Landweg-Haus ging das Licht aus, das erste sichtbares Zeichen für die Kinder an einem grauen Montagmorgen in einer kalten Aprilwoche.
Was kurz darauf folgte, war der gekränkte Dauerton einer akkubetriebenen Alarmanlage, die ankündigte, dass ein Einbruchversuch nicht bemerkt werden würde. Gut, dass wir das Abschalten der Anlage auch bei der Wachfirma gemeldet hatten.
Andere Effekte stellten sich erst im weiteren Wochenverlauf ein, manchmal zum Erstaunen der Kinder. Ein Mädchen der ersten Klasse betrat nach dem Abschalten den Klassenraum und wunderte sich: „Es ist ja immer noch ganz warm!“
Für die Schüler:innen und Kindergarten-Kinder begannen nun die Alltags-Dienste, die sie in dieser Woche neben ihren üblichen Schulaufgaben und Spielaktionen begleiten würden. Es gab Feuer-, Koch- und Spülteams. Wir brauchten ein Lagerfeuer, um unsere Vollverpflegung vor Ort sicherzustellen und um abzuwaschen. Wir brauchten es auch, um uns zu wärmen. Ein Lagerfeuer funktioniert nur, wenn Holz gehackt wird. Für die Frischware benötigten wir einen Eiskeller. Schon nach wenigen Momenten stellte sich ein anderes Verhältnis zur Zeit ein. Der erste Kaffee für die Mitarbeiter:innen kam spät und schmeckte verwegen, weil er auf dem Feuer gekocht wurde.
Dass auch alle batteriebetriebenen Uhren im Haus stillstanden, verstärkte das Gefühl des Aus-der-Zeit-Fallens. Kinder bemerkten ebenso wie Kolleg:innen, wie oft der Blick zur Uhr an der Wand ging. Auch hier wussten wir uns zu helfen: Die Kinder bauten Sonnenuhren, der Zeitabgleich war über die Kirchturmuhr möglich.
Eine interessante Erfahrung machten die Schüler:innen der Klassen 4-6. Während der Erkundungen im Unterricht wurde der automatisierte Gang zum IPad-Schrank abgelöst durch einen Gang zu den Büchern unserer gut bestückten Bibliothek.
Was folgte, war ein großes Erstaunen, dass wir so gut ausgestattet waren und die meisten Fragen klären konnten und ein kurzes Erschrecken: „Hatten wir uns nach 2021 so schnell unserer Bücher entwöhnt?“ Kopien für Gruppen-Notizen wurden über Blaupapier erledigt und Bilder einfach abgezeichnet, Nachrichten per Hand geschrieben.
Im Verlauf der Woche tauchte das eine oder andere Problem auf, das unter „normalen Umständen“ per Telefon hätte geklärt werden können. Da das nicht möglich war, löste sich meistens auch das Problem auf. Das erste kranke Kind führte noch zum Telefonat über unsere „Verbindung für alle Fälle“ im Gemeindebüro. Das zweite wurde dann von den Betreuer:innen gepflegt bis die Eltern am Nachmittag kamen. Eine gewisse Lässigkeit setze ein.
Großes Erstaunen beim Besuch des Standortkoordinators von Terra Naturkost, der uns als langjährigem Kunden zufällig in dieser Woche einen Kennlernbesuch abstattete: „Kocht ihr immer so?“, fragt er mit einem leichten Erschrecken in der Stimme, als er bei strömendem Regen im Rauch des Lagerfeuers stand und auf drei riesige brodelnde Kessel schaute. Erwartet hatte er zweifellos eine voll ausgestattete Großküche in einem BNE-ausgezeichneten Haus. Die haben wir ja durchaus, konnten sie aber in dieser Woche nicht nutzen! Und so kochte die Gemüsesuppe auf dem offenen Feuer des Schulhofes.
Hat kürzlich jemand versucht, etwas wieder zu erlernen, was er früher schon einmal konnte? So erging es uns beim Einlegen eines Filmes in die Analog-Kamera. Wir trugen unser Vorwissen zusammen und staunten, was wir vor drei Jahrzehnten für das Festhalten von Erinnerungen in Kauf genommen hatten. In der Hoffnung auf analoge Fotodokumente durchliefen wir verschiedene Fehler-Stadien: Fotografieren ohne Film, Fotografieren ohne Filmtransport, Fotografieren, während Teilchen aus der Kamera fielen und Film und Kamera sich auflösten. Kann es sein, dass wir mal Fotos gemacht haben und es normal fanden, das Ergebnis nicht zu sehen? Dass wir das Risiko des verpassten Festhaltens eines seltenen Momentes einfach so eingingen, weil wir mussten? Die Kinder, eine Generation weiter, handeln in ihren Selbstverständlichkeiten. Immer wieder kommen sie nach dem „Klick“ zur Kamera und wollen auf einem vermuteten Display sehen, wie das Bild geworden ist. Ähnliche Automatismen bemerkten wir bei der Anwesenheit von Licht. Zwei Mädchen aus der ersten Klasse wollten die Struktur von Edelsteinen anschauen, das war nicht möglich, weil sie das Licht vom Binokular nicht nutzen konnten. In Erprobung alter Handwerkstechniken stickten Kinder. Die Lehrerin sagt: „Wir können kein Garn einfädeln. Macht doch mal Licht!“ So lernt man Fehlerkultur und Geduld. In all diesen kleinen Erkenntnis-Momenten und Mini-Krisen passierte etwas ganz Erstaunliches, das wir schon oft beobachteten, aber dessen Tragfähigkeit sich erst in der Erprobung über einen längeren Zeitraum zeigte. Ausgerechnet einige der Schüler:innen und Kinder, die es in schulischen Abläufen oder Verabredungen in der Kindergarten-Gruppe manchmal schwer haben, wurden durch ihre Entschlossenheit und ihr praktisches Talent sehr wichtig für die Gruppe. Sie sind es, die das „Überleben“ einer Gruppe organisieren können, weil sie kochen, Holz hacken und Aufgaben zuweisen, weil sie standhaft bleiben, wenn eine Lösung unmöglich erscheint. Gut, dass wir in einer Schule ohne Noten Beschreibungsmöglichkeiten für diese Stärken haben.
Diese eine „Woche ohne Strom“ brauchte eine Koordination mit Weitsicht und Engagement und ein gemeinsam agierendes Team. In unserem Fall war Anja K. Ideengeberin, Vordenkerin und Schrittmacherin.
Sie organisierte gemeinsam mit unserer BNE-Koordinatorin Silke und nicht zuletzt dem begeisterungsfähigen Team diese Woche. Das Gelingen schließt ausdrücklich unser technisches Team mit ein. Unser Koch ließ sich trotz anfänglicher Bedenken auf das Kochen in der Außenküche ein. Unsere Hausmeisterin bewährte sich bei Wind und Wetter als Feuerbändigerin und unsere Raumpflegerin mit einem handbetriebenen Staubsauger und deutlich mehr Zeitaufwand putzte. Natürlich war sie erleichtert, als der Strom und damit ihr Staubsauger wieder funktionierte und ihr die Arbeit erleichterte!
Einige Erinnerungen werden bleiben, auch ohne Bilder. Strom ist nicht nur ein Licht- und Wärmegeber, er vereinfacht enorm das Leben. Es war eine wichtige Erkenntnis, dass wir immer Alternativen haben und dass wir auf vieles verzichten können. Wir haben erfahren, dass ein funktionierender Alltag stark von der Gemeinschaft abhängt, dass verborgene Stärken sich manchmal in Krisen oder ungewohnten Szenarien zeigen, dass es sich lohnt, dass Leben durchzuspielen, weil es viele Optionen bereithält. Und dass echte Situationen allen Modellen überlegen sind. Und offensichtlich müssen wir selbst automatisierte Abläufe nach Nichtgebrauch neu erlernen.
Was auch bleibt, ist die Begeisterung und ein entschlossenes „Nochmal“ der Kinder, sind solche Nachrichten von Eltern: „Respekt für die Stromlos-Woche an alle. Ich bin sehr stolz, Teil einer Einrichtung zu sein, an der solche Ideen Früchte tragen dürfen. Am besten hat mir ja die Outdoor-Küche gefallen.“
Unsere Zeit ist die der Bildersprache. Und so haben unsere virtuellen Follower:innen im Ergebnis doch auch direkt eine Erfahrung aus der Ferne gesammelt, sie mussten lange warten bis auf unserer Homepage oder anderen Kanälen Beiträge erschienen, weil die Analog-Bilder erst entwickelt werden mussten und die Zeichnungen, die unsere Kunst-Kolleginnen Kathi und Aga und einige Kinder dankenswerter Weise anfertigten, noch koloriert werden mussten.
Ja, wir sind elektrisiert und wir sind Teil einer großen Bewegung. Das zu übertragen braucht offensichtlich Zeit, habt Geduld!